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Selbstverteidigung: Welche Angriffe passieren wirklich — und was sagen die Zahlen?

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Gewalt und Übergriffe sind ein komplexes Thema: manche Formen passieren öffentlich — z. B. in Straßen, auf Plätzen, in Clubs — andere im privaten Bereich, etwa in Partnerschaften oder im häuslichen Umfeld. Für Trainer*innen und Teilnehmende von Selbstverteidigungs-Kursen ist es wichtig zu wissen, welche Situationen und Angriffsarten statistisch am häufigsten vorkommen, damit das Training realitätsnah priorisiert werden kann.



Kurzüberblick: Wo passiert Gewalt am häufigsten?


  • Im Haushalt / durch (Ex-)Partnerinnen und -partner: Für Frauen bleibt der privat-räumliche Bereich (intimate partner violence) eine der häufigsten und gefährlichsten Orte für Gewalt. Weltweit werden viele Mordfälle an Frauen von Intimpartnern oder Familienmitgliedern verübt.


  • Öffentlicher Raum & Nachbarschaft: In der EU berichteten 2023 etwa 10 % der Menschen, in ihrem Viertel Kriminalität, Gewalt oder Vandalismus erlebt zu haben — öffentliche Räume sind also ebenfalls relevante Schauplätze.


  • Anlass- und situationsbedingte Orte: Bars, Clubs, Verkehrsmittel (Bus/Bahn) und belebte Fußgängerzonen sind häufiger Schauplatz von Remplern, Schubsern, Rangeleien und auch sexualisierter Belästigung.



Was sagen die offiziellen Statistiken (Deutschland / EU / global)?


Die folgenden Zahlen geben einen Eindruck vom Ausmaß — beachte: Statistik = registrierte/erfasste Fälle; viele Vorfälle (insbesondere sexualisierte Gewalt) bleiben ungemeldet.


  • Deutschland (Polizeiliche Kriminalstatistik PKS 2023 / PKS 2024):Im Jahr 2023 wurden in Deutschland rund 214.099 Fälle von Gewaltkriminalität erfasst; 2024 stieg die Zahl weiter auf etwa 217.277 Fälle (Anstieg gegenüber Vorjahren). Messerangriffe sind ebenfalls gestiegen: die PKS vermerkt rund 15.741 Messerangriffe im Bericht 2024.


  • Europa (Eurostat):In der EU wurden 2023 etwa 3.930 vorsätzliche Tötungsdelikte gemeldet; Umfragen zeigen außerdem, dass sexuelle Gewalt und Belästigung deutlich häufiger Frauen als Männer treffen (z. B. registrierte Sexualdelikte pro 100.000: ca. 64,2 Frauen / 10,9 Männer im EU-Durchschnitt, 2022-Daten).


  • Global (WHO / UN):Weltweit sind Gewalt gegen Frauen und Partnergewalt nach wie vor ein großes Problem: die WHO/UN-Daten zeigen anhaltend hohe Anteile an physischer und sexueller Gewalt durch (Ex-)Partner. Schätzungen der UNO beziffern 2023 rund 51.100 Frauen und Mädchen, die von einem Partner oder Familienmitglied getötet wurden. Quelle: WHO Violence Fact Sheet



Welche Angriffsarten kommen am häufigsten vor?


Aus polizeilichen Berichten, wissenschaftlichen Übersichten und Praxisanalysen ergeben sich wiederkehrende Muster:


  1. Rempler, Schubsen, Stöße — häufige „Eskalationsstarter“ in öffentlichen Orten (z. B. in Menschenmengen, an Haltestellen oder in Bars).


  2. Griffe & Festhalten — Handgelenk-, Ärmel- oder Körpergriffe und Umklammerungen sind sehr verbreitet; sie dienen oft dazu, zu kontrollieren, zu entwenden (Taschendiebstahl) oder den/die Betroffene zu immobilisieren.


  3. Faustschläge / Kopf-Rumpf-Schläge — in Straßenübergriffen sehr häufig.


  4. Tritte / Knie — insbesondere zur Distanzgewinnung oder in Nahkampfsituationen.


  5. Waffenbedrohungen (Messer, Flaschen, Stuhl etc.) — zahlenmäßig weniger häufig als Körperverletzungen, aber deutlich gefährlicher; Messerstraftaten zeigen in den letzten Jahren Zuwächse.


  6. Sexuelle Übergriffe — oft unterschätzt in der Statistik wegen hoher Dunkelziffer, in vielen Ländern jedoch eine häufige Form von Gewalt gegen Frauen.



Täterprofile — gibt es ein „typisches“ Täterbild?


  • Geschlecht: Die überwiegende Mehrheit der körperlichen und sexualisierten Gewalttaten (insbesondere gegen Frauen) wird von Männern ausgeübt.


  • Beziehung zum Opfer: Viele schwere Gewalttaten gegen Frauen geschehen im privaten Umfeld — Täter sind häufig (Ex-)Partner oder Familienmitglieder. Im öffentlichen Raum sind Täterinnen und Täter oft Fremde oder Bekannte, je nach Tatkontext.


  • Alter & sozioökonomische Faktoren: Statistiken zeigen Varianz nach Altersgruppen und sozioökonomischem Status; Eurostat-Umfragen legen z. B. nahe, dass Personen mit Armutserfahrung häufiger Opfer von Nachbarschaftsgewalt berichten.



Was heißt das für Selbstverteidigungstraining — praktische Schlussfolgerungen


Auf Basis der statistischen Muster und der häufigen Angriffsarten lässt sich folgendes priorisieren:


  1. Priorität 1 — Awareness & Deeskalation

    • Viele Vorfälle beginnen mit verbaler oder nonverbaler Eskalation → Wahrnehmung, Distanzmanagement und klare Stimme sind Schlüssel.


  2. Priorität 2 — Befreiungen gegen Griffe & Umklammerungen

    • Handgelenk-, Arm- und Körpergriffe kommen sehr oft vor → einfache Befreiungstechniken sind Pflicht.


  3. Priorität 3 — Einfache Nahdistanz-Techniken

    • Palmstrike, Hammerfist, Knie → kurz, kompakt, stressresistent.


  4. Priorität 4 — Aufstehen & Bodensicherheit

    • Rempler und Stürze sind Alltag → Get-Up muss sitzen.


  5. Priorität 5 — Awareness bei Waffenbedrohung

    • Messer = Flucht und Barriere, keine „Filmabwehren“.



Empfehlungen für Trainerinnen & Kursleiterinnen


  • Offizielle Quellen nutzen: BKA/BMI PKS, Eurostat, WHO → Zahlen klar zitieren, Jahr nennen.

  • Stressdrills einbauen: Rollenspiele mit Zeitdruck, um Techniken abrufbar zu machen.

  • Dunkelziffer thematisieren: Viele Übergriffe werden nie angezeigt.

  • Traumasensibler Ansatz: Bei sexualisierter Gewalt ist sensible Vermittlung Pflicht.



Quellen (gekürzt)


  • BKA/BMI – Polizeiliche Kriminalstatistik 2023/24: BKA

  • Eurostat – Crime & Violence Statistics: Eurostat

  • WHO/UN Women – Violence Against Women Fact Sheet: WHO

  • UN Femizid-Bericht 2023: Office on Drugs and Crime

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